Mit Hirn und Herz überzeugen

Menschen sind irrationale und emotionale Wesen. Wie schaffen es CEOs und Politiker dennoch, ihre Botschaften wirkungsvoll zu vermitteln?

„Die Rede ist die Kunst, Glauben zu erwecken“, wusste schon Aristoteles. Doch manchmal klappt es nicht mit der Glaubwürdigkeit. Denn der Mensch lässt sich oft von seinen Gefühlen leiten und glaubt nur das, was er glauben möchte. Wenn Executives oder Politikerinnen und Politiker ihre Botschaften nicht überzeugend und zielgruppengerecht transportieren, bleibt die erwünschte Resonanz aus. Um die Chancen auf nachhaltig erfolgreiche Auftritte in den Medien oder vor Publikum zu erhöhen, lohnt es daher, in Medien- und Rhetoriktrainings Erkenntnisse aus der Hirnforschung und Sozialpsychologie zu berücksichtigen. Nach dem Motto: Menschen mit Hirn und Herz überzeugen – durch Menschenkenntnis.

Der faule Supercomputer

Das Gehirn ist ein faszinierendes Organ: Milliarden Nervenzellen und Billionen Synapsen bestimmen unser Fühlen, Denken und Handeln. Rund 1,3 Kilogramm voller Geheimnisse. Ständig in Bewegung. Und gleichzeitig ziemlich faul. Denn unser „Supercomputer“ neigt dazu, es sich mit der permanent auf unsere Sinne einströmenden Informationsflut so leicht wie möglich zu machen. Etliche Reize blenden wir einfach aus. Der Einfachheit halber sortiert unser zerebrales Filtersystem von Kindheit an auch zwischenmenschliche, kommunikative Signale gerne in Schubladen ein. Neben unserer genetischen Disposition sind dabei etliche äußere Einflüsse relevant: unzählige Erfahrungen, Erziehung, Bildung, kulturelle und gesellschaftliche Prägung, Religion – mitunter auch Werbung, Manipulation und Indoktrination.

Objektive Wahrheit gibt es nicht

So erschaffen wir uns ein individuelles Weltbild. Acht Milliarden Mikrokosmen wuseln also auf dem Erdball herum, und jeder einzelne konstruiert mental seine subjektive Wirklichkeit. Daher existiert auch keine allgemeingültige Wahrheit. Max Frisch hat einmal geschrieben: „Jeder Mensch erfindet früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“ Vor allem menschengemachte Ordnungen wie Regeln, Gesetze, Konventionen, Traditionen, Moralvorstellungen und Rituale vermindern das Wahrnehmungs- und Interpretationschaos und geben uns Orientierung. Am bequemsten ist es, lediglich jene Botschaften von außen ins Bewusstsein dringen zu lassen, die unsere bereits bestehenden Einstellungen bestätigen. Eine selektive, schematische und vorurteilsbeladene Wahrnehmung ist somit der Normalfall. Und Veränderungen stehen die meisten Menschen „von Natur aus“ eher abweisend gegenüber (was so manchen schwerfälligen Change-Prozess erklären mag). Denn ständig zu reflektieren und die Neuronen aktiv neu zu vernetzen, wäre furchtbar anstrengend.

Sind rationale Urteile eine Illusion? Bei der Entscheidungsfindung spielen Emotionen eine herausragende Rolle.

Die Macht der Emotionen

Es soll ja Leute geben, die für sich reklamieren, wichtige Entscheidungen allein nach rationalen Kriterien zu treffen. Tatsächlich sind wir grundsätzlich in der Lage, zu recherchieren, zu analysieren, Pro und Kontra abzuwägen. Doch die „rein rationale“ Urteilskraft scheint eine Illusion zu sein, denn in der Wissenschaft herrscht weitgehender Konsens: Bei der Entscheidungsfindung dominiert unser Unterbewusstsein – und dort sitzen die Emotionen im Chefsessel.

Manche Hirnforscher stellen sogar den freien Willen in Frage. Das limbische System, eine Art Türsteher vor dem Eingang zum Großhirn, filtert und bewertet die einströmenden Informationen nach emotionalen Kriterien. Blitzschnell kategorisiert es empfundene Botschaften und Einflüsse als positiv/nützlich sowie negativ/schädlich. Unser Hirn jagt entsprechende Neurotransmitter wie Adrenalin, Dopamin oder Serotonin durch den Körper, die unsere Stimmung und Entscheidungen beeinflussen.

Der Mensch ist von Natur aus oberflächlich

Darum ist der berühmt-berüchtigte „erste Eindruck“ auch so wichtig. Wir neigen dazu, andere Menschen in Sekundenschnelle zu beurteilen und einzuordnen. Dabei setzen wir – falls vorhanden – zunächst auf oberflächliches Vorwissen: Vielleicht haben wir über die Person ja schon „etwas gehört“ oder sie hat ein von anderen überliefertes „Image“? Dann hat in unseren Köpfen bereits eine auf Vorurteilen basierende Bewertung stattgefunden. Auch beim direkten Kennenlernen respektive Wahrnehmen zählen zumindest anfangs vor allem Äußerlichkeiten:

  • Körpersprache (Mimik, Gestik, Haltung, Gang)
  • Aussehen (Attraktivität, Figur, Kleidung, Frisur, Schmuck, Statussymbole usw.)
  • Stimme (Klang, Höhe, Modulation, Rhythmik, Lautstärke, Sprechtempo)
  • Paraverbale und nonverbale Signale (z.B. Dialekt, Lachen, Gähnen, Schmatzen, Äh-Laute, Übersprungshandlungen, Schwitzen, Erröten)

Generell finden wir andere Menschen eher dann sympathisch, wenn sie uns selbst ähnlich sind. Auch das Umfeld, in dem wir eine Person wahrnehmen, ist nicht zu unterschätzen: Hält der Vorstandsvorsitzende seine Rede in einer miefigen Turnhalle über krächzende Lautsprecher oder in einer schicken Location mit perfekter Inszenierung und leckeren Häppchen? Nicht zuletzt ist die eigene Stimmung mitentscheidend bei der Bewertung anderer Menschen – und ihrer Kommunikation.

Empathie als Erfolgsfaktor

Das alles legt den eher ernüchternden Schluss nahe: Die Form ist oft entscheidender als der Inhalt. Eine Erkenntnis, die man sich bei der Vorbereitung wichtiger Auftritte in Medien- und Rhetoriktrainings zu Herzen nehmen sollte. Ehrliches und konstruktives Feedback an die potenziellen RednerInnen ist wichtig, wenn die oben genannten „Äußerlichkeiten“ missverständliche oder unerwünschte Signale senden könnten.

Aber was ist mit den von PR-ExpertInnen und RedenschreiberInnen erarbeiteten Key-Messages? Keine Sorge: Auch der Inhalt zählt. Informationen finden je nach ihrem Neuigkeits- und Mehrwert die Aufmerksamkeit der Rezipienten. Ein Schlüsselfaktor dafür ist Empathie: die Fähigkeit, sich in die ZuhörerInnen hineinzuversetzen und die Interessen, das Vorwissen und den Sprachduktus der Zielgruppen zu antizipieren. Durch die richtige Wortwahl, originelle Metaphern, spannende Geschichten, Anekdoten, Beispiele und Vergleiche können wir in den Köpfen der Zuhörer*innen die gewünschten Bilder, Emotionen sowie Assoziationen auslösen und unsere Botschaften erfolgreich vermitteln.

Der inhaltliche rhetorische Feinschliff ist also weiterhin eine Königsdisziplin. Dann bleibt so manche Kernbotschaft tatsächlich hängen – und der Glaube wird im Sinne von Aristoteles durch Redekunst erweckt.

Dieser Artikel ist auch in dem Fachmagazin KOM und im Blog von OSK erschienen.

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