Das Prompter-Dilemma

Wie heißt es so schön? In jeder Krise steckt eine Chance. In Sachen CEO-Kommunikation besteht die Chance in der Nähe und Emotionalität, die Top-Executives durch Videobotschaften vermitteln können. Doch das ist gar nicht so einfach.

Digitale Kommunikation überzeugend nutzen
Noch immer ist die Unternehmenskommunikation mit den Pandemie-bedingten Herausforderungen konfrontiert. Zwar hat die Produkt- und Markenkommunikation wieder an Fahrt gewonnen, aber digitale Formate haben sich längst als „neue Normalität“ etabliert. Und niemand weiß, ob die klassische Live-Kommunikation in Form von Messeauftritten, Weltpremieren, Produktpräsentationen, Pressekonferenzen und Kongressen jemals wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen wird. Die Video-Präsenz der Executives wird also weiter zunehmen. Daher lohnt ein Blick darauf, wo es vielleicht noch hapert und wie das Potenzial der digitalen Kommunikation bestmöglich genutzt werden kann.

In vielen Videos offenbart sich das traditionelle Dilemma der CEO-Kommunikation: Zum einen muss jedes Wort stimmen, denn jede falsche oder missverständliche Aussage könnte negative Folgen für das Unternehmen haben. Zum anderen soll der Chef bei seinen Auftritten gut rüberkommen – also authentisch, überzeugend, eloquent und locker. Letzteres schafft jedoch nicht jeder. Und dafür gibt es zwei Hauptverdächtige: Das Redemanuskript und den Prompter. In manchem großen Konzern arbeiten Dutzende KommunikatorInnen und ExpertInnen aus Fachabteilungen wochenlang an einer wichtigen Rede. Themen und Aussagen werden verhandelt, umformuliert und abgestimmt – an jedem Komma wird gefeilt. Damit ein Executive  inhaltlich überzeugt, ist ein sorgfältiges strategisches Botschaften-Management zwar sinnvoll und wichtig. Doch mitunter resultiert daraus ein Dokument, das mit Zahlen, Daten und Fakten überfrachtet ist. Hinzu kommt: Es ist oft in Schrift- und nicht in Sprechsprache verfasst. Das Manuskript enthält dann komplizierte und hölzerne Schachtelsätze, denen ein Zuhörer nur schwer folgen kann.

Glaubwürdigkeit als Maxime
Das im eigenen Unternehmen langwierig erstellte Rede-Werk bekommt der CEO nun meist auf Redekarten oder Prompter serviert. Das ist für die chronisch überbeschäftigten Vorstände zwar komfortabel, da sie den Text ja „nur noch“ vorlesen müssen. Doch das könnte theoretisch jeder tun. Klar ist: Liest der Redner seinen Text mit monotoner Stimme und reduzierter Gestik ab, leiden nicht nur Aspekte wie Souveränität, Natürlichkeit und Charisma, sondern auch und vor allem die Glaubwürdigkeit. Denn der Rezipient kann nicht sicher sein, dass der Redner wirklich weiß, wovon er spricht und meint, was er sagt. Das gilt doppelt, wenn ein Video viele Schnitte aufweist, die jedem verraten, dass der CEO mehrere Anläufe gebraucht hat.

Das Prompter-Dilemma trifft zunächst gleichermaßen für Live-Veranstaltungen wie für Videoaufnahmen zu. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied: Die An- bzw. Abwesenheit von Publikum. Vor einem großen Auditorium avanciert sogar manch nüchterner Zahlenmensch zum leidenschaftlichen Redner, wenn er die Macht der Interaktion mit den Zuschauern spürt und nutzt. Aber genau dieser Austausch, die Magie des Live-Erlebnisses, fehlt in der digitalen Kommunikation. Was also ist zu tun? Helfen können Redenschreiber, Rhetorikcoaches und Medientrainer. Ein guter Redenschreiber konzipiert eine Rede als spannende Geschichte mit klaren Kernaussagen und als imaginären Dialog mit dem Publikum, um es zu fesseln, zu gewinnen und zu begeistern. Es ähnelt der Komposition eines Musikstückes, statt Noten erzeugen die sorgsam gewählten Worte und Metaphern Stimmungen – und Zustimmung. Die räumliche und zeitliche Distanz des Mediums Video verlangt dem Redenschreiber und erst recht dem Redner eine besondere Empathie-Fähigkeit ab: Ohne direktes Feedback muss er sich in den Zuschauer hineinversetzen und dessen Erwartungen und Stimmungen antizipieren.

Das Geheimnis des gefüllten Kelches
Ein brillantes Redemanuskript ist eine gute Basis, mehr jedoch nicht. Denn ein Redner kann nur dann wirklich überzeugen, wenn er die Rede verinnerlicht, seine eigenen Worte findet – und weitgehend frei vorträgt. Das heißt keinesfalls, sie auswendig zu lernen, denn auch das merkt der Zuhörer, zum Beispiel an dem nach innen gerichteten Blick des angespannt wirkenden Redners. Als äußerst effektiv hat sich die sogenannte „Kelch-Methode“ erwiesen: Ein fiktiver Kelch wird mit einem Schlagwort – zum Beispiel Nachhaltigkeit, Innovation oder Corona – versehen und mit spezifischen Inhalten gefüllt. Diese „Befüllung“ mit passenden Aussagen ist keineswegs banal, jeder ist herzlich zum Selbsttest eingeladen. Die Erfahrung lehrt, dass viele schon ins Schleudern geraten, wenn sie in ein paar Sätzen erläutern sollen, wofür das eigene Unternehmen steht. Ein Rhetorikcoach kann dabei als Sparrings- und Gesprächspartner wertvolle Unterstützung leisten. Ziel des Coachings ist, dass der Executive je nach Situation sofort aus einem großen Regal voller Kelche nach dem richtigen Kelch greift und ihn ausschütten kann: Aus dem Mund des CEO sprudeln dann lauter schlaue und mediengerechte Sätze zu dem jeweiligen Thema.

Da die einzige Konstante der Wandel ist, müssen die Kelche immer wieder mit frischen Inhalten befüllt werden. Das erfordert regelmäßiges Training. Doch es lohnt sich: Wirtschaft ist in Krisenzeiten schließlich besonders spannend. Die Menschen gieren nach – überzeugend vermittelten – Informationen, Argumenten und Botschaften aus erster Hand. Die CEOs sollten diese Chance nutzen. Nicht nur, um über die Krise selbst zu reden, sondern hoffentlich bald vermehrt über faszinierende neue Produkte und steigende Umsatzzahlen.


Wolf Zinn schreibt Reden für Führungskräfte, gibt Rhetorikcoachings und Medientrainings und berät Executives in allen kommunikativen Fragen.

Dieser Artikel ist in leicht abgewandelter Form auch in dem Fachmagazin Horizont und im Blog von OSK erschienen.

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